Sie sind schwer erreichbar, sprechen eine andere Sprache, haben aussergewöhnliche Arbeitszeiten oder meiden den Kontakt mit Befragungsteams. Benachteiligte Menschen nach ihren Bedürfnissen zu befragen, ist schwierig. In einem Projekt in Münchenbuchsee half es, dass vertraute Personen den Kontakt vermittelten.
Die Turnhalle in der Allmend füllte sich allmählich. Das Team der BFH war erleichtert. Gegen 19 Uhr war die Halle mit 60 Anwesenden gefüllt. Erwartungsgemäss waren viele Schweizer Familien gekommen. Zur Freude der Forscherinnen waren aber auch ein paar Menschen mit Migrationshintergrund zu sehen.
Die Gemeinde Münchenbuchsee informierte im November 2017 über eine Befragung, die sie in Auftrag gegeben hatte. Der Gemeinderat beabsichtigte, die soziale Durchmischung zu stärken und der Tendenz entgegenwirken, dass in gewissen Quartieren ausschliesslich die reichere und in anderen die ärmere Bevölkerung wohnt. Besonders stark zeigte sich dies im Quartier Allmend.
Benachteiligte Allmend
Ein Wald und eine Distanz von drei Kilometer schneiden das Quartier vom Dorfkern ab. Die Liegenschaften sind alt, der Wohnraum relativ günstig. Im Vergleich zu anderen Quartieren sticht der hohe Anteil an Sozialhilfebeziehenden und Menschen mit Migrationshintergrund heraus. Der Ruf des Quartiers ist mässig, manche sprechen vom «Ghetto von Münchenbuchsee».
Der Gemeinderat zog für eine bessere Integration des Quartiers diverse Massnahmen in Erwägung. Vor einem Entscheid wollte er jedoch wissen, was sich die Bewohnerinnen und Bewohner für ihr Quartier wünschen und ob sie bereit wären, Veränderungen selber anzugehen. Deshalb sollte die BFH eine Quartierumfrage durchführen.
Über Schlüsselpersonen befragen
Eine solche aktivierende Befragung beginnt mit einer Stadtteilbegehung. Es folgen Gespräche mit Multiplikatorinnen oder Multiplikatoren. Herzstück ist die Befragung der Bewohnenden. Den Abschluss macht eine Versammlung, wo Resultate präsentiert und Perspektiven herausgearbeitet werden.
Schwierig aber zentral ist bei solchen Befragungen, dass besonders benachteiligte Gruppen erreicht werden. Oft brauchen gerade sie besonders dringend Unterstützung, um von Versorgungsstrukturen profitieren zu können.
Ein vielversprechender Weg liegt darin, diese Personen nicht direkt, sondern indirekt über Bezugspersonen ihrer Lebensumwelt zu erreichen. Diese Schlüsselpersonen können Quartierbewohnende sein oder Personen aus informellen oder formellen Netzwerken, beispielsweise die Angestellte im Detailhandel.
Bekanntschaften nutzen
In der Allmend sollten nun diese Schlüsselpersonen identifiziert und rekrutiert werden. Dabei half eine vom Gemeinderat organisierte Begleitgruppe von Menschen aus Münchenbuchsee mit Bezug zur Allmend. Mit ihr entschieden die Studienleiterinnen, welche Personengruppen in die Befragung einbezogen werden. Für ein umfassendes Bild der Bedürfnisse sollten Personen mit und ohne Schweizer Pass, unterschiedlichen Alters und Personen mit und ohne Sozialhilfebezug berücksichtigt werden.
Bei der Suche nach den Personen stellte die Begleitgruppe ihre persönlichen Netzwerke zur Verfügung. So konnte die BFH 62 Personen im Quartier befragen. Es fanden Gespräche statt mit Personen, die an der Informationsveranstaltung waren und dem Aufruf zum Mitmachen folgten. Der Sozialdienst vermittelte Interviews mit Sozialhilfebeziehenden. Eine Kindergärtnerin ermöglichte Besuche in zwei Kindergartenklassen. Die Schulsozialarbeiterin organisierte eine Begegnung mit Jugendlichen der Oberstufe.
Schwieriger war es, ausländische Eltern zu erreichen. Ein Begleitgruppenmitglied mit eritreischer Nationalität vermittelte ein Gruppengespräch mit afrikanischen Müttern. Über die erwähnte Kindergärtnerin konnten weitere Personen erreicht werden. Insgesamt konnten 17 Ausländerinnen und Ausländer, die älter als 25 Jahre alt sind, interviewt werden.
Diversität vor Quantität
Möglicherweise hätte eine aktivierende Befragung ohne vermittelnde Schlüsselpersonen mehr Menschen erreicht, wenn man beispielsweise Befragungen an einem öffentlichen Ort oder an der Wohnungstüre durchgeführt hätte. Doch hätte man so die Bedürfnisse aller Menschen, die im Quartier leben, erfahren? Viele der besonders betroffenen Menschen sind wegen aussergewöhnlicher Arbeitszeiten kaum im öffentlichen Raum anzutreffen. Manche sind es nicht gewohnt, in ein Gespräch verwickelt zu werden und lehnen die Teilnahme an einer Befragung durch unbekannte Personen ab. Das ausgewählte Verfahren mit den Schlüsselpersonen überzeugte die Studienleitung mehr.
Als Wermutstropfen bleibt, dass letztlich zu wenig ausländische Eltern befragt wurden. Dennoch liess sich mit der Befragung ein breit abgestütztes Spektrum von Themen zusammenstellen. Dazu gehören das vernachlässigte Wohnumfeld oder fehlende Anlässe im Quartier, die Möglichkeit bieten für Begegnungen. Auch möchte man bei Abfallentsorgung und Verkehrsberuhigung mehr vom Dorf unterstützt werden.
Der erste Schritt in der Quartierentwicklung in Münchenbuchsee ist gemacht. Der Gemeinderat hat eine Grundlage um sein Vorgehen zu planen. Bereits festgelegt ist, dass der Gemeindepräsident für Sprechstunden regelmässig im Quartier anwesend sein wird.
Eine ausführliche Fassung dieses Artikels finden Sie in der neuesten impuls-Ausgabe.
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Literatur und weiterführende Links:
- Fürst, Roland & Hinte, Wolfgang (Hrsg.). (2017). Sozialraumorientierung : Ein Studienbuch zu fachlichen, institutionellen und finanziellen Aspekten (2. Aufl.). Stuttgart: UTB GmbH.
- Lüttringhaus, Maria & Richers, Hille (2003). Handbuch Aktivierende Befragung : Konzepte, Erfahrungen, Tipps für die Praxis. Bonn: Stiftung Mitarbeit.
- Schubert, Herbert (2014). Öffnung des Wohnquartiers für das Alter : Entwicklung einer kommunikativen Informationsinfrastruktur zur Überbrückung struktureller Löcher im Sozialraum (2. Aufl.). Köln: Verlag Sozial-Raum-Management.
- Willener, Alex (2015). Quartierentwicklung und der Beitrag der Sozialen Arbeit. In Anna Maria Riedi, Michael Zwilling, Marcel Meier Kressig, Petra Benz Bartoletta & Doris Aebi Zindel (Hrsg.), Handbuch Sozialwesen Schweiz (S. 356–362). Bern: Haupt.
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