Erst wenige Unternehmen in der Schweiz schaffen gezielt ein Klima der Inklusion und Gleichstellung für lesbische, schwule und Transgender-Mitarbeitende. Dabei bringt ein solches Vielfaltsmanagement Vorteile.
Im Herbst 2014 hatte Apple-Chef Tim Cook sein Coming-out: «I’m proud to be gay», schrieb der damals 53-Jährige in einem Online-Beitrag des amerikanischen Wirtschaftsmagazins «Bloomberg Businessweek». Er sei stolz, schwul zu sein. Dass sich Führungskräfte aus dem obersten Management outen, sei die Ausnahme, wäre aber sehr wichtig, sagt die Psychologin Andrea Gurtner, Professorin am Institut Unternehmensentwicklung am Departement Wirtschaft der Berner Fachhochschule. «Cook ist ein Rollenmodell und Vorbild.» Ein geouteter Chef, eine geoutete Chefin haben laut Gurtner innerhalb eines Unternehmens den grössten Einfluss auf ein diskriminierungsfreies Arbeitsklima. «Sie machen Lesben und Schwule sichtbar. Es wird dann schwierig, blöde Sprüche zu machen oder diese Mitarbeitenden zu benachteiligen.»
Soll die sexuelle Orientierung wirklich ein Thema sein im Geschäftsleben? Ja, sagt Gurtner, aber nicht, um bestimmte Lebensformen aus dem Privaten ins Rampenlicht zu zerren. Sondern im Rahmen eines Diversity Managements, weil dies allen Beteiligten diene. Beim Diversity Management handelt es sich um ein betriebswirtschaftliches Führungsinstrument, das Vielfalt – so das deutsche Wort für Diversity – in der Belegschaft als Chance sieht. Neben der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität – ob jemand sich eher als Frau oder als Mann fühlt – sind unter anderem auch Geschlecht, ethnische Herkunft und Alter davon erfasst. Vor allem bei global tätigen Unternehmen ist Diversity Management ein Thema, in der Schweiz wird es jedoch erst von einer Minderheit der Betriebe gepflegt.
Mit Vielfalt zum Erfolg
Meistens stehen dabei Massnahmen im Vordergrund, um Frauen zu fördern oder ältere Mitarbeitende gesund im Betrieb zu behalten. Um die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität geht es noch selten. Das ergab eine vertiefte Befragung von 67 Schweizer Grossunternehmen, die bereits ein Diversity Management anwenden. Lediglich ein Drittel dieser näher untersuchten Stichprobe gab an, in ihrer Personalpolitik LGBTI – das Kürzel steht für lesbisch, schwul (gay), bisexuell, transgender, intersex – zu berücksichtigen. Etwas mehr als zwanzig Unternehmen also, die sich ausdrücklich um die Belange ihrer lesbischen und schwulen Mitarbeitenden kümmern – das sei im internationalen Vergleich ein geringer Anteil, stellt Gurtner fest. Die Forscherin formuliert ihren Befund dennoch positiv: Im Schweizer Umfeld sei ein Diversity Management, das auch sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität umfasse, «noch ein exzellentes Alleinstellungsmerkmal der Unternehmensattraktivität».
Wer öffentlich darlege, sich der Vielfalt in der Belegschaft anzunehmen, positioniere sich in einem ausgetrockneten Arbeitsmarkt als fortschrittlicher Arbeitgeber. Auch fördere ein aufgeschlossenes Arbeitsklima das Wohlbefinden und damit die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden. Auf der anderen Seite scheint Vielfalt ein handfester Wettbewerbsvorteil zu sein. Darauf deuteten Studien aus dem Ausland hin, wie Gurtner sagt. Firmen, die auf Vielfalt setzen, können neue Kundengruppen gewinnen, das Arbeitsklima verbessern, Krankheits- und Fehlzeiten reduzieren.
Ein Label soll anspornen
Der erste Schritt für ein Unternehmen ist laut Gurtner, Diversität überhaupt zu erkennen und wertzuschätzen. In Reglementen, Leitbildern und im öffentlichen Auftritt könne festgehalten werden, dass Lesben, Schwule und Transgender-Mitarbeitende nicht diskriminiert würden. Dann gelte es konkrete personalrechtliche Aspekte zu prüfen: Ob gleichgeschlechtliche Partnerschaften gleichgestellt sind, was Pensionskasse, Vergünstigungen, Ferien bei der Geburt oder Adoption eines Kindes betrifft.
Was in der Studie auffällt: Mehrheitlich hielten die befragten Unternehmen ein Vielfaltsmanagement inklusive sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität nicht für nötig oder gaben an, keine Ressourcen dafür zu haben. Ein Schweizer LGBTI-Label soll Unternehmen künftig anspornen und gleichzeitig unterstützen. Andrea Gurtner ist an der Erarbeitung federführend beteiligt, gemeinsam mit «WyberNet» – wo sie selber Mitglied ist – und «Network», zwei Business-Netzwerke von Lesben und Schwulen. Das Label wird dieses Jahr lanciert und ist eine Zertifizierung, bei der Firmen auf Inklusion und Chancengleichheit für diese Mitarbeitenden geprüft werden.
Eine Offenheit erreicht
Seit drei Jahren gibt es in der Schweizer Post das firmeninterne Netzwerk «Rainbow». Es will zu einer offenen Unternehmenskultur beitragen, Mitarbeitende unterstützen und Vorurteile gegenüber Lesben, Schwulen und Transmenschen abbauen. Lesen Sie hier, welche Erfahrungen die Post damit macht.
Den Artikel sowie eine ausführlichere Version des hier veröffentlichten Artikels «Coming-out der Unternehmen» finden Sie auch in der neusten Präsenz-Ausgabe (1/2018), dem Kundenmagazin des Departements Wirtschaft.
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Artikel und Berichte:
- Bucher D., Gurtner A. (2017) Diversität und Inklusion von Schwulen und Lesben – ein Lippenbekenntnis Schweizer Grossunternehmen?. In: Tokarski K., Schellinger J., Berchtold P. (eds) Zukunftstrends Wirtschaft 2020. Springer Gabler, Wiesbaden
- Gurtner, A. (2017): Diversity Management in der Schweiz. Eine empirische Studie unter spezieller Berücksichtigung der Dimension sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität. Bern
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Literatur und weiterführende Links:
- Tim Cook (2014): Tim Cook Speaks Up, in: Bloomberg Businessweek, New York
- Fischer, A. (2018): «Viele LGBT-Menschen haben Angst, sich zu outen», in: HR Today 3/2018, Zürich
- Lee Badgett, L.; Durso, L.; Kastanis A.; Mallory C. (2013): The Business Impact of LGBT-Supportive Workplace Policies; The Williams Institute, Los Angeles
- Sander, G.; Hartmann, I. (2015): Einführung einer Diversity-and-Inclusion-Kultur – eine herausfordernde Management-Aufgabe; in: Genkova, P.; Ringeisen, T. (Hrsg.) (2015). Handbuch Diversity Kompetenz, Bd. 1: Perspektiven und Anwendungsfelder. Wiesbaden: Springer VS.
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