In einem Pilotprojekt beteiligte sich die Stadt Bern zwischen 2019 und 2022 an der Finanzierung von Betreuungsleistungen für AHV-Rentner*innen, die mit bescheidenen finanziellen Mitteln auskommen müssen. Die Berner Fachhochschule BFH untersuchte in einer von der Age-Stiftung finanzierten Begleitforschung die Voraussetzungen für den langfristigen Erfolg dieser Massnahme.
Rentner*innen, die in der Stadt Bern wohnen und deren Einkommen und Vermögen eine bestimmte Schwelle nicht überschreitet, konnten sich für das Projekt anmelden. Fachpersonen des Projektpartners Pro Senectute Kanton Bern führten anschliessend im Rahmen eines Hausbesuchs eine standardisierte Bedarfsabklärung durch. Für die Bereiche, in denen sie einen Betreuungsbedarf feststellten (z.B. Ernährung, Haushaltführung, Sicherheit, Einsamkeit), erhielten die älteren Personen eine Gutsprache: Sie konnten Leistungen einkaufen und sich die Kosten dafür von der Stadt Bern rückerstatten lassen.
Mit diesem Projekt schloss die Stadt Bern als eine der schweizweit ersten Städte eine bestehende Lücke im Finanzierungssystem der Altersbetreuung. Ihre Erfahrungen können anderen Städten, Gemeinden oder Kantonen bei der Initiierung und Umsetzung eigener Projekte helfen. Der von der BFH verfasste Bericht beschreibt und evaluiert das Pilotprojekt ausführlich und bietet damit eine gute Grundlage für zukünftige Realisierungen.
Der Erfolg des Projekts
Die Betreuungsleistungen konnten nachweislich die finanziellen Sorgen der AHV-Rentner*innen vermindern sowie ihr körperliches und psychisches Wohlbefinden verbessern. Ihre Selbständigkeit sowie ihre Lebensqualität wurden dadurch gesteigert und sie konnten länger in ihrem eigenen Zuhause bleiben. Dieser Erfolg hing von drei Faktoren ab:
Bekanntmachung:
Die in Frage kommenden Personen müssen wissen, dass es diese Möglichkeit gibt und wie sie zu den Betreuungsgutsprachen kommen.
Der Zugang zum Angebot muss deshalb sehr niederschwellig gestaltet werden. Das Projekt der Stadt Bern hat gezeigt, wie wichtig eine kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit ist. Nicht nur bei denjenigen, die davon profitieren können, sondern auch bei Stellen, die diese auf das Angebot aufmerksam machen können. Die Projektverantwortlichen nutzten dabei verschiedene Kanäle, wie Briefversände, digitale und analoge Medien wie die städtische Webseite oder Quartierzeitungen. Auch half die persönliche Vorstellung des Projekts bei wichtigen Stakeholdern wie dem Roten Kreuz, den Landeskirchen, Migrationsfachstellen und Erwachsenenschutzbehörden. Diese Kanäle mussten in regelmässigen Abständen bedient werden, damit das Projekt im Bewusstsein blieb und Personen zur Anmeldung motiviert wurden.
Bedarfsabklärung:
Eine standardisierte Bedarfsabklärung ist die Grundlage einer objektiven Gutsprachenpraxis.
Im Projekt wurde zur Bedarfsklärung ein Instrument entwickelt, das auf bewährten geriatrischen Fragebögen basiert. Mit Hilfe dieses Instruments klärten die Fachpersonen im Rahmen eines Hausbesuchs den Bedarf der Personen ab und machten Empfehlungen für die Gutsprachen. Diese Fachpersonen hatten eine wichtige Rolle im Projekt. Sie waren für die älteren Personen das Gesicht des Projektes und für die Stadt Bern die Garant*innen einer gerechten Verteilung der finanziellen Leistungen. Wichtige Voraussetzungen für diese Rolle sind gemäss den Erfahrungen in Bern: Ausbildung als Pflegefachperson HF/FH; Weiterbildungen in Gesundheitsförderung, -prävention und Gerontologie; Erfahrung im Begleiten von älteren Menschen im häuslichen Bereich; Erfahrung im Ausfüllen und Auswerten von Fragebögen.
Leistungsbezug:
Die Gutsprachen müssen den Bezug von qualitativ guten Leistungen ermöglichen, die den Bedürfnissen der älteren Personen entsprechen.
Die älteren Personen konnten im Rahmen der Gutsprachen in denjenigen Bereichen Leistungen beziehen, in denen sie es selbst als notwendig erachteten. Sie konnten aus einer Liste auswählen, bei welchem Anbieter sie die Leistungen beziehen wollten. Im Projekt zeigte sich, dass viele Personen Unterstützung brauchten, um die Leistungen auszuwählen und zu erhalten. Können Angehörige hier nicht unterstützen, muss dies ebenfalls als rückerstattbare Leistung erfasst werden.
Eine weitere Erkenntnis aus dem Projekt: Die beziehbaren Leistungen entsprechen nicht immer den Bedürfnissen der AHV-Rentner*innen. Sie werden deshalb nicht dem eigentlichen Bedarf entsprechend, d.h. zu selten oder gar nicht bezogen. Insbesondere die Angebote zur Verbesserung der Ernährung und zur Verminderung von Einsamkeit sollten den realen Bedürfnissen entsprechend weiterentwickelt werden.
Vom Projekt zum Regelangebot
Die Stadt Bern zog – u.a. basierend auf der Begleitforschung der BFH – eine insgesamt positive Bilanz aus dem Projekt. Die AHV-Rentner*innen der Stadt Bern sollen deshalb weiterhin von Betreuungsgutsprachen profitieren können. Bis dies möglich wird, dauert es noch einige Zeit: Das Altersreglement muss angepasst und das Geschäft in den Stadtrat gebracht werden.
Kontakt:
- Prof. Dr. Regula Blaser, Dozentin, Institut Alter
- Prof. Dr. Eva Soom Ammann, Leiterin IF Psychosoziale Gesundheit, Departement Gesundheit
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