Begegnung und Beteiligung in der Agglomeration

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Foto: Oliver Slappnig

Die Stadt Bern ist in den letzten Dekaden stark gewachsen. Was macht diese Entwicklung mit ihrer Peripherie? Ein transdisziplinäres Studienprojekt der Sozialen Arbeit, der Architektur und der Künste geht der Frage nach, welche Impulse die Ränder der Stadtregion Bern geben. Die Resultate werden derzeit im Kornhaus vorgestellt.

Simone Gäumann, die Studierenden der Sozialen Arbeit haben sich im Projekt BFH Transformation mit Begegnungsmöglichkeiten an Stadträndern befasst. Warum?

Der Grossteil des Siedlungswachstums findet in den Schweizer Agglomerationen statt. An den Rändern der Stadt Bern wächst die Bevölkerung kontinuierlich und weist eine hohe soziokulturelle Durchmischung auf. Wegen der Nähe zur Stadt ziehen Menschen mit einer städtischen Lebensorientierung in die Agglomeration.

Die Stadtregion ist zu einer Wohngegend mit vielseitigen Qualitäten und unterschiedlichen Lebensentwürfen geworden. Dadurch stellen sich neue Fragen des Zusammenlebens.

Begegnungsmöglichkeiten, wie öffentlich zugängliche Orte, Freiräume und Treffpunkte, rücken in den Fokus, denn sie erfüllen eine wichtige Funktion in einer vielfältigen Gesellschaft. Sie ermöglichen, dass Menschen interagieren und Kontakte knüpfen. Sie sind Erholungsraum, ja sogar Identifikationsort. Und sie zeigen gesellschaftliche Ausgrenzungsprozesse auf. Für die Soziale Arbeit ist dies eine hochinteressante Ausgangslage, um sozialen Wandel zu verstehen.


Simone Gäumann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Soziale und kulturelle Vielfalt und unterrichtet im BSc Soziale Arbeit unter anderem Sozialräumliche Quartier- und Stadtteilarbeit.

Das Format BFH Transformation ist neu. Warum ist die Soziale Arbeit mit dabei?

Komplexe gesellschaftliche Fragestellungen erfordern eine transdisziplinäre Herangehensweise sowie eine Zusammenarbeit mit lokalen Partner*innen aus der Praxis, dem Gemeinwesen und der Zivilgesellschaft. Das Format entwickelt als Reallabor neue Perspektiven auf aktuelle Fragestellungen.

Das Departement Soziale Arbeit ist im Kornhaus mit einem Beitrag zu Ostermundigen präsent. Welche Situation haben die Studierenden angetroffen?

Die Gemeinde will sich in den kommenden Jahren in sozialer und räumlicher Hinsicht weiterentwickeln. Im Rahmen der Ortsplanungsrevision O’mundo rücken Begegnungsmöglichkeiten in den Fokus. Ein laufendes Forschungsprojekt am Departement Soziale Arbeit untersucht Weiterentwicklungsmöglichkeiten von solchen Orten. In diesem Zusammenhang hat eine Gruppe Studierender im Quartier Rüti eine Sozialraumanalyse durchgeführt. Sie haben sich mit den räumlichen und sozialen Gegebenheiten auseinandergesetzt, haben Begehungen und Beobachtungen gemacht und Bewohner*innen sowie Fachpersonen des Gemeinwesens befragt. Dies zeigte, dass die Bewohner*innen vor allem die Ruhe im Quartier schätzen und dem Wald viel Bedeutung beimessen.

Der Bedarf an mehr Begegnungsmöglichkeiten ist bei den Interviewten weitgehend vorhanden, doch die Umsetzung ist auf Freiwillige angewiesen.

Die Studierenden haben auch darüber nachgedacht, welche Rolle die Soziale Arbeit in diesem Zusammenhang einnehmen könnte und zuhanden der Gemeinde Empfehlungen ausgearbeitet.

Die Rüti ist ein stadtnaher Raum. Die Menschen hier sind schnell in der Stadt. Warum braucht es Begegnungsmöglichkeiten im Quartier?

Bei der Befragung ist in der Tat deutlich geworden, dass die Nähe zur Stadt Bern und die gute ÖV-Erschliessung wichtige Gründe sind, hier zu wohnen. Dies nutzt ein Teil der Befragten ausgiebig und wählt Begegnungsorte in der Stadt, um bspw. Freunde zu treffen. Dennoch zeigt sich bei allen Generationen ein Bedarf für Begegnungsmöglichkeiten im Quartier selbst. Diese sind besonders wichtig, um Menschen aus dem Quartier zu treffen und um sich über alltagsrelevante Themen aus dem Quartier auszutauschen. Sie bieten Hand zur Integration im Quartier und haben das Potenzial, die Beteiligung im Quartier zu erhöhen.

Gibt es Gruppen, für die solche Begegnungsmöglichkeiten wichtiger sind als für andere?

Für die meisten Menschen ist die Lebensqualität in ihrem Nahraum von grosser Bedeutung, ausgenommen davon sind Menschen, die hochgradig mobil arbeiten und leben.

Gewisse Gruppen sind besonders auf Qualitäten im Nahraum angewiesen, wie ältere Menschen mit eingeschränkter Mobilität, Familien, Menschen in Armutslagen oder Betroffene von gesellschaftlichen Benachteiligungen.

Rüti ist ein Quartier mit hoher Bevölkerungsdichte und sozialer Indikation. Im Vergleich zu anderen Quartieren weist es den höchsten Anteil an alteingesessener Bevölkerung auf. Jedoch weisen die Befragungen auf einen Bedarf nach bisher fehlenden Begegnungsmöglichkeiten für alle Bevölkerungsgruppen hin, wie ein Café oder eine zentrale Einkaufsmöglichkeit. Ältere Menschen thematisieren den eingeschränkten Bewegungsradius und deuten an, dass es Konflikte mit Neuzugezogenen gibt. Es gibt also einen gewissen Handlungsbedarf.

Wann werden Begegnungsmöglichkeiten am Stadtrand genutzt?

Es braucht Begegnungsräume, die ausreichend gross, nutzungsoffen bzw. divers gestaltet sind, so dass unterschiedlichste Gruppen ihre Nische finden und sich nicht gegenseitig ausschliessen. Sind Begegnungsmöglichkeiten zudem in Gehdistanz erreichbar, lassen sich mit Alltagsroutinen verbinden und haben einen niederschwelligen Charakter. Dadurch erhöht sich die Zugänglichkeit auch für Menschen mit eingeschränkter Mobilität wie auch mit begrenzten zeitlichen oder finanziellen Ressourcen.

Was kann die Soziale Arbeit tun, um Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen?

Die Soziale Arbeit setzt sich dafür ein, dass Begegnungsmöglichkeiten nahe an den Bedürfnissen und Lebenswelten von Bewohnenden ausgerichtet sind. Sie setzt sich auch für Teilhabemöglichkeiten ein. In der Stadtregion Bern verdichtet sich Lebensraum. Sozialarbeitende nehmen zwischen der Bevölkerung, der Gemeinde und der Planung eine wichtige intermediäre Rolle ein. In städtischen Quartieren arbeiten sie vor Ort, bspw. in Quartierzentren. Sie initiieren Angebote mit Begegnungsmöglichkeiten und setzen Ressourcen ein, damit solche bekannt und belebt werden. Auch übernimmt die Quartierarbeit eine wichtige Vernetzungsaufgabe und bedient vielseitige Kommunikationswege. Gibt es wie in Ostermundigen keine institutionalisierte Quartierarbeit, ist die Arbeit von Freiwilligen zentral. Dies muss gut orchestriert werden. Hier kann die Soziale Arbeit unterstützen.

BFH Transformation
Impulse vom Rand

1. – 17. März 2023 – Kornhausforum Bern

Interdisziplinäre Projekte zum Potenzial der Stadtregion Bern, ausgehend von der Gemeinde Ostermundigen und ihrer Umgebung. Die Jahresausstellung des Fachbereichs Architektur befasst sich in Zusammenarbeit mit der Hochschule der Künste Bern und dem Departement Soziale Arbeit mit der Stadtregion Bern. Mit welcher Perspektive lässt sich vom Rand auf die Stadt blicken?

Zur Ausstellung

Weit mehr als leere grüne Fläche?
Donnerstag, 2. März 2023, 18.30 Uhr
Podiumsveranstaltung zum Potenzial von Almenden

Museumsnacht
Freitag, 17. März 2023, 18.00 – 02.00 Uhr
Letzter Ausstellungstag mit Beiträgen der HKB und Barbetrieb


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Literatur und weiterführende Links:

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