Aus dem Wort «Würde» etwas Greifbares machen

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Foto: istock solstock

Würde – ein schillernder Begriff. Doch welche Bedeutung kommt ihm in der alltäglichen Arbeit mit Behinderten zu? Die Bergquelle Zweisimmen hat auf Wunsch ihrer Mitarbeitenden zusammen mit der BFH eine betriebliche Weiterbildung dazu durchgeführt – mit Potenzial für die Weiterentwicklung der Organisation.

Die Bergquelle bietet 24 Wohnplätze und 25 geschützte Arbeitsplätze in Zweisimmen an und begleitet Menschen mit körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen im Alltag. Rund fünfzig Mitarbeitende fördern deren Wohl und Entwicklung. In einer Befragung äusserten sie den Wunsch, sich vertieft mit dem Thema Würde zu beschäftigen.

Herausforderung der Begrifflichkeit

Eine Weiterbildung zu Würde zu entwickeln war sowohl attraktiv als auch herausfordernd. Das Risiko bestand, dass das Thema in begrifflicher Abstraktheit verbleibt. Doch kann Würde auch praktisch konkret gemacht werden. Die Hauptaufgabe bestand darin, Würde in der beruflichen Praxis, im professionellen Handeln mit Menschen mit Behinderung und in der kollegialen Zusammenarbeit zu ergründen. Mitarbeitende sollen ihr implizites Verständnis von Würde explizit formulieren können und sie sollen Würde im beruflichen Alltag erkennen können und sie besser verstehen.

Vom Wert der Person

«Würde» ist von «Wert» abgeleitet. «Würde» bedeutet «Wert», «Wertsein» und bezeichnet ohne weitere spezifische Bestimmung den Wert der Person, unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Status und davon, was sie geleistet hat. Würde wird anerkannt: Indem wir anderen Menschen einen Wert unabhängig von Status und Leistung zuschreiben, entsteht deren Würde. Die Anerkennung besteht in der Anerkennung von Ansprüchen der Person gegenüber mir als Gegenüber dieser Person. Diese Ansprüche der Würde können als Achtung der Würde differenziert werden: die Person beachten, sie berücksichtigen, sich um sie kümmern, sich ihrer annehmen, sich um sie bemühen, ihr helfen und ihre Selbstbestimmung achten. Die Würde muss von allen unbedingt und jederzeit respektiert werden. Die Integrität einer Person darf nicht verletzt werden. Diese Analyse wurde veranschaulicht und als Grundlage für die Weiterbildung genutzt.

Würde in Alltagssituationen

In der Weiterbildung wurden Aspekte der Würde in Alltagssituationen untersucht. Anhand von Beispielen erkannten die Teilnehmenden, was mit Würde gemeint ist, und analysierten in Partnerarbeit Situationen aus ihrem eigenen Alltag. Die Reflexionen wurden in philosophischen Gesprächen vertieft, bei denen die Teilnehmenden Fragen und Behauptungen zur Thematik einbringen konnten. So wurde unter anderem die Frage nach der kulturellen Abhängigkeit des Verständnisses von Würde und damit die Relativität der Würde diskutiert. Würde ist der Wert der Person, der unabhängig von ihren Leistungen und damit auch Fähigkeiten besteht. Dies lässt keinen möglichen Grund erkennen, die Würde einer Person, insbesondere auch von Menschen mit Behinderung, nicht anzuerkennen.

Fotos: Oliver Slappnig

Fälle aus dem Arbeitsalltag

Der Nachmittag war der Arbeit mit Fällen aus dem Arbeitsalltag gewidmet. In Gruppen wurden Fallbeschreibungen entwickelt und Aspekte der Würde analysiert und diskutiert. Beispielsweise lautete eine Frage, wie damit umgegangen werden soll, wenn eine lehrende Mitarbeiterin erlebt, dass eine Fachperson einen Bewohner verbal herabwürdigt, weil er sich aufgrund einer Unverträglichkeit beim Essen eingekotet hat. Den Aspekt der Würde zu erkennen, der in diesem Fall verletzt wurde, war für die Teilnehmenden nicht schwierig. Fragen der Würde sind aber oft mit Fragen von Kompetenzen, fachlicher Hierarchie und Führung verquickt. Eine andere Frage lautete, wie ich meine Aufmerksamkeit und meine Zeit auf Bewohnende mit unterschiedlichen Bedürfnissen verteile. Dies ist eine Frage der Gerechtigkeit in der Anerkennung von Würde. In dieser Fallarbeit wurde Material erarbeitet, das für die Weiterarbeit in einer noch zu bestimmenden Form erkannt wurde.

«Es war unser Ziel, anlässlich dieser ersten, gemeinsamen Auseinandersetzung mit dem Thema den abstrakten Begriff ‹Würde› mit Inhalt zu füllen, um unser Handeln hinsichtlich würdevollen Verhaltens reflektieren und gegebenenfalls anpassen zu können. Die positiven Rückmeldungen der Teilnehmenden zeigen, dass die Auftaktveranstaltung gelungen ist. Es liegt nun aber in der Verantwortung von uns – dem Leitungsteam –, dass das Thema im Alltag präsent bleibt und dadurch in der Bergquelle eine Kultur des würdevollen Umgangs gelebt wird.»
Regula Meier, Geschäftsleiterin der Bergquelle

Potenzial für die Organisation

Am Ende des Tages versuchten die Teilnehmenden zu beurteilen, ob Würde Potenzial als handlungsleitendes Konzept für die Organisation hat. Aufgrund der intensiven Arbeit konnte dies nicht abschliessend bewertet werden, und die Frage wurde vertagt. Der Erfolg des Tages beruhte auf Offenheit, Neugier, Mut und Vertrauen. Die Mitarbeitenden der Bergquelle konnten den abstrakten Begriff der Würde greifbar machen. Dies kann für die zukünftige Arbeit in der Organisation von grossem Wert sein.

 

Dieser Artikel ist im September 2024 in einer ausführlicheren Version im «impuls – Fachmagazin des Departements Soziale Arbeit BFH» ersterschienen.
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