Auf dem Weg von Integration zu Inklusion

Von und 0 Kommentare

Foto: adobestock

Das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz HEKS definiert Inklusion als einen thematischen Schwerpunkt. Es beauftragte die BFH das Konzept der Inklusion für ihre Organisation zu präzisieren und die aktuelle Inlandarbeit diesbezüglich zu analysieren. Das Projekt zeigt den Handlungsspielraum für Organisationen auf, die marginalisierte Menschen unterstützen.

Welche Chancen ergeben sich für diese Arbeit durch den Paradigmenwechsel von Integration zu sozialer Inklusion? Dies war die zentrale Frage des Projekts, aus dem schliesslich ein White Paper für das HEKS resultierte. Doch es zeigte auch den Diskussionsbedarf zu einem wohlbekannten Spannungsfeld innerhalb der Sozialen Arbeit auf: Wie kann man als Fachperson und Organisation die Inklusion von marginalisierten Menschen vorantreiben – trotz der tiefgehenden strukturellen Ungleichheiten und der Defizite im sozialen System?

Was bedeutet «Inklusion»?

Der Begriff «Inklusion» ruft in der Gesellschaft vielfältige Deutungen und Vorstellungen hervor. Zudem bestehen verschiedene Definitionen des Begriffs. Entsprechend ist die Arbeit mit dem Konzept für Praxis und Wissenschaft herausfordernd. HEKS versteht unter Inklusion, dass alle Menschen gleichberechtigt am wirtschaftlichen, sozialen und politischen Leben teilhaben können. Laut Schröer hat der Inklusionsbegriff mindestens drei Wurzeln: die soziologische Systemtheorie, die Armuts- und Ungleichheitsforschung und die integrative Pädagogik im Bereich Behinderung. Als gemeinsamer Nenner verschiedener Theoriestränge und Handlungsfelder beschreiben Ellinger und Böttinger Inklusion als gesellschaftliche Utopie mit dem Ziel, eine solidarische, sozial gerechte, diskriminierungs- und barrierefreie Gesellschaft zu schaffen. Eine solche Gesellschaft sieht Diversität als Normalität an und betrachtet Heterogenität als Ressource. Inklusion zielt somit darauf ab, Abhängigkeiten und Barrieren zu reduzieren, um Teilhabe, Partizipation und einen gleichberechtigten Zugang zu unterschiedlichen Lebensbereichen zu erreichen.

In Interviews wird diese utopische Qualität des Inklusionskonzeptes von mehreren HEKS-Mitarbeitenden hervorgehoben. Inklusion wird beispielsweise als «der ideale Zustand» einer Gesellschaft beschrieben. Eine teilnehmende Person mit Migrationserfahrung definiert Inklusion als einen Prozess, der «gegenseitig ist. Die anderen sollen auch mir die Hand geben.» Die drei Elemente Prozesshaftigkeit, Reziprozität und Othering – sprich die Unterscheidung von «Wir» und «die Anderen» – sind wichtige Konzepte der Inklusionstheorie. Die Vorstellung einer wechselseitigen gesellschaftlichen Annäherung ist zentral, um das Ziel der Inklusion zu erreichen. Inklusion unterscheidet sich daher zum Konzept der Integration, das auf Eingliederung setzt und Angleichung und Anpassung der vermeintlich «Anderen» erwartet. Inklusion und Integration sind per se jedoch keine Gegensätze. Inklusion setzt voraus, dass exkludierende, also ausschliessende gesellschaftliche Verhältnisse infrage gestellt und überwunden werden. In unauflöslichem Widerspruch stehen demnach Inklusion und Exklusion und nicht Inklusion und Integration.

Auswirkungen auf Programme und Fachpersonen

Aus dem Inklusions-Anspruch leiten sich auch spezifische Anforderungen für die Basisarbeit von HEKS ab. Im Projekt wurde Inklusion in drei unterschiedlichen, eng miteinanderverbundenen Ebenen aufgegriffen und analysiert: auf der gesellschaftlichen Ebene, innerhalb der Organisation und in der Beziehung zu den Programm-Teilnehmenden. Diese widerspiegeln die wichtige Verbindung der Makro-, Meso- und Mikroebenen in sozialen Transformationsprozessen. Neben den theoretischen Herleitungen wurden die praktischen Ansprüche auf Basis von Programmbesuchen und Fokusgruppen entwickelt. Diese Erkenntnisse sind auch für andere Organisationen relevant. Zentral ist dabei das konsequente Hinterfragen der Binarität zwischen einem vermeintlichen «Wir» und den «Anderen». Was auch bedeutet, dass die damit verbundenen Normalitätsvorstellungen in der professionellen Haltung der Fachpersonen sowie in der Programmentwicklung und -durchführung stärker verankert werden. In einem partizipativen Prozess mit Programmteilnehmenden und HEKS-Mitarbeitenden wurden daher Kriterien für die organisationsspezifische Operationalisierung von Inklusion aufgestellt, beispielsweise Partizipation und Augenhöhe.

Beispiel aus der Praxis

Für die Kriterien ««Partizipation» und «Augenhöhe» stellt das Programm HEKS KICK in Burgdorf ein gutes Beispiel dar. Das Brückenangebot unterstützt Jugendliche beim Übergang von der Schule in die Berufswelt. Die meisten Teilnehmenden sind mit Ablehnung und Ausgrenzung konfrontiert, was sich oft negativ auf ihr Selbstwertgefühl auswirkt. Ziel des Angebots ist es, diesen Jugendlichen Erfolgserlebnisse zu ermöglichen und ihr Selbstvertrauen wieder zu stärken.

Ein wichtiger Ansatz bei KICK ist, den Jugendlichen von Anfang an Verantwortung zu übertragen. Es wird ein Umfeld geschaffen, in dem sie Verantwortung übernehmen können – so übernehmen sie beispielsweise die Leitung von Teamsitzungen. Ein weiterer Aspekt ist auch die Gestaltung der Räumlichkeiten. Früher waren die Räume verstreut, für Mitarbeitende und Teilnehmende getrennt und durch schmale Gänge verbunden, was zu einer gewissen Distanz führte. In den letzten Jahren wurden alle Räume auf einer Etage zusammengeführt, was die Interaktion erleichterte, ein offeneres und inklusiveres Umfeld schaffte und von Mitarbeitenden und Teilnehmenden entsprechend sehr positiv bewertet wird.

Inklusionsarbeit ist politisch

Aus dem Projekt stechen bezüglich der Beziehung zu den Teilnehmenden die Erkenntnisse heraus, dass Dissens und Raumaneignung die politische Teilhabe fördern, dass zeitliche und räumliche Flexibilität in der Programmgestaltung echte Partizipation ermöglichen und dass Diskriminierungserfahrungen aktiv angegangen werden sollen. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen HEKS nun als Grundlage, um das Potenzial der Programme aufzuzeigen und eine stärkere Verzahnung von programmatischer und politischer Arbeit zu diskutieren.

 


Kontakt:

 

Projekte und Partner:

 

Literatur und weiterführende Links:

Beitrag teilen
0 Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.