Armutspolitik: Wie gelingt die Teilhabe bei Massnahmen und Projekten?

Foto: istock.com/Konstantin Postumitenko

In der Armutsbekämpfung und -prävention gibt es viele Beteiligte: Regierungsmitglieder, kantonale Parlamente, statistische Ämter, Sozialdienste, Hochschulen oder Medien und Öffentlichkeit. Welchen Part können Betroffene selbst übernehmen, wenn es um Angelegenheiten und Entscheide geht, die ihr Leben betreffen?

Armutsbetroffene können in vielfältiger Weise einbezogen werden, um Massnahmen der Armutsprävention und -bekämpfung zu entwickeln und umzusetzen. Dies zeigt eine Studie der BFH und der Fachhochschulen Westschweiz (HES-SO/FR und HES-SO/GE) im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV).
Das Besondere daran: Das Studiensetting verfolgt selbst einen partizipativen Ansatz. In der Begleitgruppe waren Armutsbetroffene involviert. Die Ergebnisse werden an der Tagung der Nationalen Plattform gegen Armut am 4. Februar 2021 in Fribourg gemeinsam mit Betroffenen vorgestellt und diskutiert. Zudem erarbeitet ein partizipatives Arbeitsgremium mit Betroffenen und Fachpersonen aus der Sozialen Arbeit und Politik gegenwärtig Praxishilfen, die im Frühjahr 2021 erscheinen sollen.
Gabriela Feldhaus war eine von zwei Armutsbetroffenen der Begleitgruppe. Sie sagt im nachträglichen Gespräch: «Armut betrifft nicht nur das Materielle und Finanzielle. Betroffene haben das Gefühl, kein Gehör zu finden.» Oft würden Vorschläge, die sich langfristig für sie und die Sozialhilfe lohnen würden, nicht gehört. Dadurch verliere man das Selbstwertgefühl.

Anknüpfungspunkte für Politik und Praxis

In den analysierten Partizipationsprojekten und -massnahmen gingen vielfältige Möglichkeiten zur Partizipation in insgesamt sechs Handlungs- und Politikbereichen hervor. Diese basieren auf folgenden sechs Modellen.

  • Modell 1: Entwicklung und Weiterentwicklung von Strukturen und Prozessen von öffentlichen und privaten Dienstleistungsorganisationen: In der Schweiz richteten zum Beispiel die Sozialdienste in Basel und Biel einmalige und institutionalisierte Gremien ein, in denen Sozialhilfebeziehende Vorschläge zur Weiterentwicklung der Dienstleistungen einbringen können.
  • Modell 2: Aus- oder Weiterbildung von Fachpersonen im Bereich der Sozialen Arbeit: An der Hochschule für Soziale Arbeit in Fribourg wurden mehrere Sozialhilfebeziehende für eine befristete Zeit in einem Ausbildungskurs eingesetzt, um den Studierenden ihr Erfahrungswissen weiterzugeben. Im Kooperationsmaster der BFH startet im Herbst ein Modul mit demselben Ansatz.
  • Modell 3: Entwicklung und Weiterentwicklung von politischen und rechtlichen Grundlagen: Die Regierung von Québéc (Kanada) beispielsweise setzte auf regionaler Ebene ein permanentes Komitee ein, in dem Armutsbetroffene zusammen mit anderen Interessengruppen Anliegen in Bezug auf die Armutsstrategie der Regierung einbringen können.
  • Modell 4: Im öffentlichen und politischen Diskurs können betroffene Personen zum Beispiel mittels Stellungnahmen oder Beiträgen an Konferenzen partizipieren.
  • Modell 5: Gemeinschaftliche Selbsthilfestrukturen zur Bekämpfung von Armut.
  • Modell 6: Die gemeinsame Erarbeitung von (konzeptionellen oder persönlichen) Grundlagen der Partizipation durch Fachkräfte und Betroffene, beispielsweise eine Charta mit Grundsätzen, an die sich alle während Partizipationsprozessen zu halten haben.

Positive Wirkungen und Voraussetzungen

Partizipationsprojekte stärken den sozialen Zusammenhalt und erhöhen die Legitimität der öffentlichen Politik. Sie ermöglichen es Fachorganisationen, Behörden und Politik Dysfunktionalitäten besser zu erkennen. Diese können dadurch wirksamere Grundlagen, Praktiken und Instrumente entwickeln.
Allerdings können solche Wirkungen nicht in jedem Fall erzielt werden. Je nach Kontext ist es einfacher, Partizipationsprojekte umzusetzen, wenn diese in eine breite politisch-administrative Strategie eingebettet sind und es bereits (gesetzlich verankerte) partizipative Strukturen gibt.
Damit der partizipative Prozess gelingt, braucht es zudem eine sorgfältige Planung, konkrete, erreichbare Ziele und eine klare Definition der Rollen. Zentral ist ferner die Begegnung auf Augenhöhe: Fachpersonen müssen bereit sein, sich Fehler einzugestehen und aus ihnen zu lernen.

Eine ausführliche Fassung dieses Artikels finden Sie unter dem Titel «Im wahren Leben funktioniert vieles anders als in der Theorie» in der neuesten impuls-Ausgabe.


Kontakt:

 

Artikel und Berichte:

 

Weiterführende Links:

Beitrag teilen
0 Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.