Arbeitsintegration in der Zwickmühle

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Foto: istock.com urbazon

Die neue digitale Arbeitswelt verlangt von uns Arbeitnehmenden immer mehr Selbstverantwortung und erhöht den Leistungsdruck. Unter diesen Umständen gelingt vielen Erwerbslosen der Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt immer seltener. Die aktuellen Ausschreibungsverfahren für Integrationsmassnahmen führen zudem zu einem verschärften Wettbewerb zwischen Organisationen der Arbeitsintegration.

Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahrzehnten unter der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung stark verändert. Seit ungefähr zehn Jahren haben sich in der Fachwelt die Begriffe «Arbeit 4.0» bzw. «New Work» etabliert. Diese wirtschaftliche Entwicklung stellt die in der Arbeitsintegration tätigen Organisationen vor grosse Herausforderungen.

Die Berner Fachhochschule BFH hat im Auftrag des Dachverbands Arbeitsintegration Schweiz eine Studie zu den Herausforderungen und Zukunftsperspektiven in der Arbeitsintegration durchgeführt. Die Ergebnisse beruhen auf einer systematischen Literaturanalyse, einer Online-Befragung der Mitglieder sowie Interviews und Workshops mit Fachpersonen aus der Arbeitsintegration.

Die neue Arbeitswelt

Die moderne Wirtschaft ist auf gut ausgebildete Fachkräfte angewiesen. Doch seit 2015 bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie nahm der Fachkräftemangel stetig zu. Die Gründe dafür sind vielfältig, erschwerend wirkt sicherlich, dass Fachkompetenzen allein nicht mehr ausreichen. Immer mehr sind digitale Kompetenzen und ausgeprägte Soft Skills wie Sozial- und Selbstkompetenzen gefragt. Der hohe Leistungs- und Erfolgsdruck verlangt von den Beschäftigten Selbstverantwortung, Selbstökonomisierung und Selbstrationalisierung. Viele Arbeitgeber erwarten zudem von ihrem Personal, permanent über verschiedene Kanäle erreichbar zu sein. Die Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und Freizeit verwischen immer mehr. Eine Tendenz, die durch die Homeoffice-Pflicht während der Pandemie stark zugenommen hat.

Organisationen der Arbeitsintegration arbeiten jedoch häufig mit Menschen zusammen, welche die notwendigen Voraussetzungen für eine gelingende berufliche Integration in den ersten Arbeitsmarkt (noch) nicht erfüllen. Gerade Sozialhilfebeziehenden müssen oftmals zuerst an ihrer Arbeitsmarktfähigkeit und an grundlegenden Kompetenzen wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Sprach- und IT-Anwenderkenntnissen etc. arbeiten. Erst wenn diese Grundkompetenzen aufgebaut worden sind, kann eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt überhaupt in Betracht gezogen werden.

Steigende Ansprüche und sinkende Erfolgschancen

In der Arbeitsintegration tätige Fachpersonen stellen fest, dass für eine zunehmende Zahl ihrer Klient*innen eine nachhaltige berufliche Integration aus unterschiedlichen Gründen illusorisch ist. In vielen Fällen führen auch noch so ausgeklügelte, massgeschneiderte, auf die individuellen Bedürfnisse der Klientel abgestimmte Integrationsmassnahmen ins Leere.

Diese Realität stösst jedoch bei den staatlichen Auftrag- und Geldgebern oft auf taube Ohren. Sie halten am Paradigma «berufliche Integration um jeden Preis» fest. Die staatlichen Behörden inszenieren zwischen den Anbietern von Integrationsmassnahmen einen scharfen Wettbewerb um staatliche Aufträge und Mittel. Dieser Steuerungsmechanismus und die damit einhergehenden Ausschreibungsverfahren haben zur Folge, dass der Aufwand für die wiederkehrende Ausarbeitung von Angebotsofferten insgesamt stark gewachsen ist. Bei den Organisationen der Arbeitsintegration wird somit mehr betriebswirtschaftliches Know-how und Managementerfahrung vorausgesetzt.

Gleichzeitig wird von den Leistungserbringern erwartet, dass sie ihre Massnahmen möglichst effizient umsetzen und die erwartete Wirkung erzielen. Gegen diese Forderung ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Wenn aber die Auszahlung von Geldern mit dem Integrationserfolg verknüpft wird, wird der Bogen definitiv überspannt. Denn dies birgt die Gefahr, dass Anbieter vor allem mit ressourcenstarken Klient*innen zusammenarbeiten. Ressourcenschwache Klient*innen sind für die Anbieter ein Risiko und kommen deshalb gar nicht erst in den Genuss von Integrationsmassnahmen, obschon sie es am nötigsten hätten. Unter den Anbietern von Integrationsmassnahmen führt diese Situation insgesamt zu einer Verschärfung der Konkurrenz und zu einer Abnahme der Kooperationsbereitschaft.

Konsequenzen einer politischen Fehlentwicklung

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob diese behördliche Strategie tatsächlich – wie von staatlicher Seite behauptet – zu einer Qualitätssteigerung führt. Oder ob der gewählte Steuerungsmechanismus nicht vielmehr zu einem Kostendruck bei den bereitgestellten Angeboten, einer zunehmenden Planungsunsicherheit, fehlender Kontinuität sowie insgesamt zu einer Prekarisierung der Arbeitsbedingungen der Fachpersonen führt. Den Preis für diese durch eine neoliberal verblendete Politik verursachten Fehlentwicklungen zahlen letztlich die Erwerbslosen. Sie sollten in ihrer Notlage eigentlich mit einer zielführenden Unterstützung ihrer Integrationsbemühungen rechnen können.


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