Kurzarbeit, Homeoffice, zusätzliche Betreuungsarbeit. Die Corona-Krise krempelte den Arbeitsalltag der meisten Arbeitnehmenden komplett um. Doch welchen Effekt hatte dies auf die Arbeitsbelastung und die Befindlichkeit am Arbeitsplatz?
Die meisten Arbeitnehmenden in der Schweiz sind von der Corona-Krise betroffen. In einer repräsentativen Umfrage bei 1’517 Arbeitnehmenden in der Schweiz untersuchte die Berner Fachhochschule BFH zusammen mit Travail.Suisse, dem unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden, wie sich die Arbeitsbedingungen in der Corona-Krise verändert haben. Wie reagieren Arbeitnehmende und -gebende auf die Krise? Wie wirken sich das Homeoffice sowie erhöhte Betreuungspflichten auf die Befindlichkeit am Arbeitsplatz aus? Die Umfrage fand zwischen dem letzten Lockerungsschritt der Schutzmassnahmen am 8. Juni und der Einführung der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr am 5. Juli statt.
Arbeitsbelastung und Lohn im Lockdown
Der Lockdown veränderte die Arbeitsbelastung der Arbeitnehmenden sehr unterschiedlich. Während ein Drittel der Befragten von einer erhöhten Belastung berichtet, sprach ein weiteres Drittel von einer niedrigeren Belastung als üblich. Im Detailhandel, Bildungswesen, Sozialwesen und in der öffentlichen Verwaltung sprachen mit rund 45% überdurchschnittlich viele Arbeitnehmende von einer Zunahme der Arbeitsbelastung. Am stärksten nahm sie im Gesundheitswesen zu. Hier waren 53% der Beschäftigten von einer erhöhten Arbeitsbelastung betroffen. Von einer Entlastung berichteten am häufigsten Arbeitnehmende aus den Branchen Kunst und Unterhaltung, Gastgewerbe, Transport und Logistik sowie Grosshandel (44 bis 53%).
Bei insgesamt 31% der Arbeitnehmenden wurde während des Lockdown Kurzarbeit eingerichtet. Besonders stark verbreitet war diese im Gastgewerbe bei 80% der Beschäftigten. Im Detail- und Grosshandel sowie in der Kunst- und Unterhaltungsbranche waren rund 50% von Kurzarbeit betroffen. Dabei erhielten 51% der Arbeitnehmenden vom Arbeitgeber weiterhin das volle Gehalt ausbezahlt anstatt der gesetzlich erlaubten Reduktion auf 80% des Lohns. Die Unterschiede zwischen den Branchen sind jedoch deutlich. So erhielt im Baugewerbe, in der Gastronomie sowie in der Kunst- und Unterhaltungsbranche jeweils bloss ein Drittel der Betroffenen weiterhin den vollen Lohn.
Homeoffice und erhöhte Betreuungspflichten
Im Lockdown arbeitete die Hälfte der Arbeitnehmenden vollständig oder teilweise im Homeoffice. Dies war hingegen für 47% aufgrund ihrer Arbeitsstelle nicht möglich. Ein Viertel der Personen, die im Homeoffice tätig waren, hatte bereits vor dem Lockdown regelmässig von zuhause aus gearbeitet.
Die Mehrheit der im Homeoffice Tätigen erwähnte dessen positive Auswirkungen: der wegfallende Arbeitsweg, die erhöhte Selbstbestimmung und die Ruhe am Arbeitsplatz. Es gab allerdings auch negative Auswirkungen auf die Befindlichkeit. Am häufigsten wurden die fehlenden sozialen Kontakte am Arbeitsplatz genannt (71%). Am zweithäufigsten klagten Personen im Homeoffice über die fehlende Ergonomie am Arbeitsplatz (58%). Ebenfalls negativ bezeichnet wurden die ständige Erreichbarkeit (42%) sowie die Schwierigkeit, Familie und Beruf zu vereinbaren (39%). Letztere Problematik zeigte sich bei Personen mit Kindern unter 12 Jahren besonders ausgeprägt (74%).
Während des Lockdown übernahmen 42% der Arbeitnehmenden zusätzliche Betreuungspflichten; nicht nur von Kindern, sondern auch von älteren Personen sowie von Personen aus der Risikogruppe oder mit psychischen Einschränkungen. Eine Entschädigung durch die Erwerbsersatzordnung erhielten dabei gerade mal 4.3%. Jede zehnte Person mit erhöhten Betreuungspflichten wollte keine Entschädigung beantragen. Vielen war diese Möglichkeit offenbar nicht bekannt (39%). Dafür kam jeder vierten Person der Arbeitgeber in hohem bis sehr hohem Masse mit Entlastungsangeboten entgegen. Starkes Entgegenkommen konnte vor allem in den Branchen mit Büroarbeitsplätzen gewährt werden – z.B. in der Finanzbranche, Verwaltung oder im Sozialwesen.
Hohe Solidarität vs. Präsentismus am Arbeitsplatz
Solidarische Massnahmen, etwa das Tragen von Masken oder eine Impfung gegen COVID-19, werden von einer Mehrheit der Arbeitnehmenden positiv beurteilt. 21% der Arbeitnehmenden mussten bereits vor der Einführung der teilweisen Maskenpflicht bei der Arbeit eine Maske tragen. 46% der Arbeitnehmenden würden eine geprüfte Impfung durchführen lassen. Für 30% stellt letztere eine eventuelle Option dar. Zwei Drittel der Personen, die eine Impfung befürworten, wären bei Engpässen bereit, länger darauf zu warten. Ein Solidaritätsindex basierend auf den Einstellungen zu Masken und Impfungen zeigt, dass etwas mehr als ein Drittel der Arbeitnehmenden eher unsolidarisch eingestellt ist.
Von den Umfrageteilnehmenden gaben 2% an, an COVID-19 erkrankt gewesen zu sein. Bis zum Befragungszeitpunkt begaben sich 12% zeitweise in eine Quarantäne oder Selbstisolation, ein Drittel davon aufgrund einer ärztlichen Verordnung. Jedoch befanden sich mehr als 40% der erkrankten Personen nicht in Quarantäne oder Selbstisolation. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass sich das Virus in vielen Fällen am Arbeitsplatz weiterverbreitete. Das dürfte in der teilweise mangelnden Entschädigung für den Erwerbsausfall und im in der Schweiz verbreiteten Präsentismus begründet liegen.
Gesundheit geht vor
Von den Personen in ärztlich verordneter Quarantäne erhielt nur ein Drittel eine Entschädigung gemäss Erwerbsersatzordnung EO; bei den Personen in freiwilliger Selbstisolation war es sogar bloss ein Sechstel. Umso erfreulicher ist es folglich, dass der Bundesrat die Berechtigung für den Erwerbsersatz in der Zwischenzeit erweitert hat.
Nachdenklich stimmt jedoch die Tatsache, dass die Schweiz bei der Entschädigung von Krankheitsabwesenheiten im internationalen Vergleich schlecht abschneidet und dass bis zur Corona-Krise viele Kranke trotzdem zur Arbeit erschienen waren (vgl. Barometer Gute Arbeit 2015-2019). In der heutigen Zeit stellt dies ein Risiko für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung dar, dem mit raschen Massnahmen am Arbeitsplatz begegnet werden muss. Aus diesem Anspruch heraus planen die BFH und Travail.Suisse für den Herbst eine Studie zum Umgang mit Präsentismus in Unternehmen.
Kontakt:
- Prof. Dr. Tobias Fritschi, Dozent, Departement Soziale Arbeit
- Gabriel Fischer, Leiter Wirtschaftspolitik, Travail.Suisse
Projekte und Partner:
Artikel und Berichte:
- Fischer, Gabriel (2019): Stress und fehlende Entwicklungsmöglichkeiten bei der Arbeit; In: knoten & maschen
- Fritschi, Tobias, Fischer, Gabriel & Lehmann, Olivier (2020). Arbeitsbedingungen in der Corona-Krise. Bern: BFH und Travail.Suisse.
- Fritschi, Tobias, Kraus, Simonina & Luchsinger, Larissa (2019): Barometer Gute Arbeit. Qualität der Arbeitsbedingungen aus Sicht der Arbeitnehmenden – Ergebnisse für die Jahre 2015-2019, Bern: Berner Fachhochschule.
- Fritschi, Tobias & Oesch, Thomas (2018): Erhöhte Arbeitsmotivation trotz steigender Jobunsicherheit; In: knoten & maschen
Literatur und weiterführende Links:
- Corona-Krise: Monitoring der Bevölkerung 12/06/20, sotomo.ch
- Die Schweiz im Vorabend der ersten Corona-Lockerungen: Hoffnung überwiegt Frust. Umfrage zu Pandemie-Massnahmen in der Schweiz im Vorfeld der ersten Lockerungen des Lockdown: Risiko einer Polarisierung, gfsbern.ch
- KOF Konjunkturforschungsstelle (Hrsg.). (o. J.). Konjunkturanalyse: Prognose 2020 / 2021. Im Bann des Coronavirus Rezession in Europa und der Schweiz wahrscheinlich. ETH Zürich.
- LeeWas-Bericht zur Corona-Umfrage der Tamedia Zeitungen und 20 Minuten. Tamedia. LeeWas GmbH. (2020).
- OECD Policy Responses to Coronavirus (COVID-19). Supporting people and companies to deal with the COVID-19 virus: Options for an immediate employment and social-policy response, www.oecd.org
0 Kommentare