Heute wollen viele Männer mehr Verantwortung in der Familienarbeit übernehmen. Mit einem «Ja» zum Vaterschaftsurlaub würde die Schweizer Stimmbevölkerung die neue Vaterrolle im Gesetz anerkennen und sie auch in Familien mit tiefen Einkommen ermöglichen.
Am 27. September stimmt die Stimmbürgerschaft der Schweiz über die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs ab. Wird die Vorlage angenommen, erhalten alle Väter das Recht zehn Arbeitstage für die Betreuung ihres Kindes – innerhalb von 6 Monaten ab Geburt – frei zu nehmen. Die Entschädigung beträgt, wie bei der Mutterschaftsversicherung, 80% des durchschnittlichen Bruttoeinkommens.
Gleiches Recht für alle Väter
Die Vorlage bringt in erster Linie mehr Gleichheit für Väter in unterschiedlichen Erwerbssituationen und Einkommensklassen. Heute bleibt der Vaterschaftsurlaub einem Teil der Väter verschlossen. Selbständige und Erwerbslose haben keinen Anspruch. Auch gibt es keine generelle Verpflichtung der Arbeitgeber, den Vätern bei Geburt eines Kindes mehr als einen Tag Urlaub zu gewähren – auch keinen unbezahlten. Selbst wenn der Arbeitgeber grundsätzlich Hand für einen unbezahlten Urlaub bietet, können sich Familien mit tiefen Einkommen diesen in der Regel nicht leisten.
Tiefe Einkommen derzeit doppelt benachteiligt
Unter heutigem Regime sind Väter mit tiefen Einkommen doppelt benachteiligt: Einerseits fehlt ihnen das finanzielle Polster, um einen unbezahlten Urlaub zu beziehen, andererseits haben sie kaum Spielraum, um bei ihrem Arbeitgeber einen Urlaub (bezahlt oder unbezahlt) einzufordern. Gerade im Tieflohnbereich zeigen die Unternehmen häufig wenig Interesse, ihren Mitarbeitenden Zeit für die Kinderbetreuung zu gewähren. Im Gegensatz zu den hochspezialisierten Beschäftigten mit hohen Einkommen, können Mitarbeitende in Tieflohnbranchen meist einfach durch andere ersetzt werden. Mitarbeitende, die einen Anspruch stellen, der nicht rechtlich abgesichert ist, riskieren ihre Stelle. Zudem haben Unternehmen in Tieflohnbranchen, die freiwillig einen bezahlten Vaterschaftsurlaub ermöglichen, höhere Lohnkosten zu tragen, was einen Wettbewerbsnachteil mit sich bringt.
Diese strukturell bedingte Benachteiligung von Vätern mit tiefen Einkommen würde durch die Einführung des Vaterschaftsurlaubs wegfallen. Die Unternehmen hätten damit nicht nur die Pflicht, sondern auch vergleichbare finanzielle Möglichkeiten, zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben beizutragen.
Rechtsungleichheit zwischen den Geschlechtern
In Bezug auf die Gleichstellung zwischen Mann und Frau stellt der vorgesehene Vaterschaftsurlaub ebenfalls eine Verbesserung dar – wenn auch nur bedingt. Der gesetzliche Anspruch auf bezahlte Zeit zur Betreuung von Neugeborenen bleibt für Väter (2 Wochen) deutlich kürzer als derjenige, den Mütter einfordern können (14 Wochen). Da der Anspruch auf eine Lohnersatzzahlung an das Geschlecht gebunden und nicht übertragbar ist, können Elternpaare nicht frei darüber entscheiden, wer die Betreuungsarbeit übernimmt. Zumindest wenn die Familie aufgrund finanzieller Restriktionen auf die Beiträge aus der Mutterschaftsversicherung angewiesen ist, wird es weiterhin die Mutter sein, die bei der Kinderbetreuung die Hauptrolle spielen muss.
Der vorgesehene Vaterschaftsurlaub stellt damit in erster Linie mehr Gleichheit zwischen Vätern mit unterschiedlichen Ausgangslagen her. Es handelt sich aber nach wie vor um eine staatliche Regelung, die ein traditionelles Familienmodell bevorzugt.
Anerkennung der neuen Vaterrolle
Unabhängig davon wie die Abstimmung ausgeht, in Zukunft wird sowieso die Frage einer für beide Elternteile zugängliche Elternzeit zu diskutieren geben. Alle EU-Länder sowie viele Nicht-EU-Staaten bieten dazu bereits Lösungen an. In Hinblick auf eine moderne und investierende Sozialpolitik wird auch die Schweiz nicht darum herumkommen, dieses Instrument zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Betreuungspflichten als Möglichkeit ernsthaft zu prüfen. Eine Elternzeit wäre zusätzlich zu Mutter- und Vaterschaftsurlaub oder auch als Teilersatz der bestehenden Versicherungsansprüche denkbar.
Vorderhand ist es aber aufgrund der politischen Ausgangslage und der starken Vetoposition der konservativeren Kantone kaum realistisch eine Elternzeit einzuführen. Der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub ist eine Kompromisslösung, die an der Urne durchaus Chancen haben dürfte. Nicht nur würde dieser Urlaub mehr Gerechtigkeit zwischen Vätern verschiedener Einkommensschichten schaffen, es wäre auch der erste Entscheid des Schweizer Souveräns, der die Väter explizit in der Rolle der Betreuenden ihrer Kinder anerkennt.
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